Als Pflegekraft immer scheinselbständig?

Ein Gutachten des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienst soll belegen, dass Einzelpflegekräfte, die Verträge mit den Pflegekassen schliessen, scheinselbständig sein sollen. Die Pressemitteilung behauptet das, das Gutachten bleibt der Verband schuldig. Eine schlüssige Begründung jenseits der schlichten Behauptung ebenfalls. Dabei kann man Beschäftigungsverhältnisse sowohl selbständig als auch abhängig beschäftigt ausgestalten, das ist alles eine Frage der vertraglichen Gestaltung und tatsächlichen Durchführung. Nun ist das so eine Sache mit Gutachten im Auftrag von Verbänden, man fragt sogleich, was wollen die damit in eigener Sache erreichen? Immerhin gibt es immer mehr private Anbieter bzw. Vermittler von Pflegekräften für die häusliche Pflege, meist aus Polen, die hier als Selbständige tätig werden. Ob diese auch scheinselbständig sind?

Die Gerichte jedenfalls gehen in der Regel davon aus, dass eine selbständige Tätigkeit bei Pflegekräften kaum in Betracht kommt. Das obwohl das Gesetz in § 2 SGB VI ausdrücklich eine Selbständigkeit in der Pflege annimmt für:

Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,
und
Hebammen und Entbindungspfleger

Die Sozialgerichte missachten dabei die Rechtsprechung des BGH und des BAG zum Dienstvertrag und vergleichen die selbständigen Tätigkeiten nicht mit dem typischen Arbeitsverhältnis, sondern mit atypischen Arbeitsverhältnissen, also „höhere Dienste“, die ohne Weisungen funktionieren, „Home-Office“, damit das eigene Büro des Selbständigen keine Bedeutung mehr hat, „Patch-Work-Arbeitsverhältnisse“, damit mehrere Auftraggeber keine Rolle mehr spielen, „Boni“ und „Provisionen“, so dass auch das Unternehmerrisiko dahinschmilzt wie Schnee in der Sahara. Beim Vergleich zwischen dem typischen Dienstvertrag und dem typischen Arbeitsvertrag wären viele Selbständige keine abhängigen Beschäftigten. Da die Sozialgerichte diesen Vergleich aber nicht anstellen, auch und erst recht nicht bei medizinischen oder medizinnahen Berufen, wird in diesem Bereich die Möglichkeit einer selbständigen Tätigkeit faktisch abgeschafft.

 

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte


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Ein Gutachten des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienst soll belegen, dass Einzelpflegekräfte, die Verträge mit den Pflegekassen schliessen, scheinselbständig sein sollen. Die Pressemitteilung behauptet das, das Gutachten bleibt der Verband schuldig. Eine schlüssige Begründung jenseits der schlichten Behauptung ebenfalls. Dabei kann man Beschäftigungsverhältnisse sowohl selbständig als auch abhängig beschäftigt ausgestalten, das ist alles eine Frage der vertraglichen Gestaltung und tatsächlichen Durchführung. Nun ist das so eine Sache mit Gutachten im Auftrag von Verbänden, man fragt sogleich, was wollen die damit in eigener Sache erreichen? Immerhin gibt es immer mehr private Anbieter bzw. Vermittler von Pflegekräften für die häusliche Pflege, meist aus Polen, die hier als Selbständige tätig werden. Ob diese auch scheinselbständig sind?

Die Gerichte jedenfalls gehen in der Regel davon aus, dass eine selbständige Tätigkeit bei Pflegekräften kaum in Betracht kommt. Das obwohl das Gesetz in § 2 SGB VI ausdrücklich eine Selbständigkeit in der Pflege annimmt für:

Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,
und
Hebammen und Entbindungspfleger

Die Sozialgerichte missachten dabei die Rechtsprechung des BGH und des BAG zum Dienstvertrag und vergleichen die selbständigen Tätigkeiten nicht mit dem typischen Arbeitsverhältnis, sondern mit atypischen Arbeitsverhältnissen, also „höhere Dienste“, die ohne Weisungen funktionieren, „Home-Office“, damit das eigene Büro des Selbständigen keine Bedeutung mehr hat, „Patch-Work-Arbeitsverhältnisse“, damit mehrere Auftraggeber keine Rolle mehr spielen, „Boni“ und „Provisionen“, so dass auch das Unternehmerrisiko dahinschmilzt wie Schnee in der Sahara. Beim Vergleich zwischen dem typischen Dienstvertrag und dem typischen Arbeitsvertrag wären viele Selbständige keine abhängigen Beschäftigten. Da die Sozialgerichte diesen Vergleich aber nicht anstellen, auch und erst recht nicht bei medizinischen oder medizinnahen Berufen, wird in diesem Bereich die Möglichkeit einer selbständigen Tätigkeit faktisch abgeschafft.

 

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
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