Widerspruch per E-Mail unzulässig. Na ja.

Das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt (Urteil vom 11.07.2007 – Aktenzeichen L 9 AS 161/07 ER, Volltext) hält einen Widerspruch per E-Mail für nicht formgerecht und damit nicht fristwahrend.

“Die E-Mail des Klägers, die dieser am 09. März 2007 unter dem Absender c.@f.de an die Internetadresse c.j.@w.de mit dem folgenden Text:

„Widerspruch gegen Sanktionsbescheid

Sehr geehrte Frau J.,
ich erhebe hiermit Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid.

Mit freundlichen Grüßen
A.“

abgesandt hat, kann nicht als formgerechte und damit wirksame Widerspruchseinlegung angesehen werden.

(…)

Dies entspricht der bereits vor der Rechtsänderung übereinstimmend vertretenen Rechtsauffassung, dass trotz der Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel und dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formstrenge auszeichnenden sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren für die Wirksamkeit der Widerspruchseinlegung (wie auch der Klage) zur Sicherung der Authentizitäts- und Sicherungsfunktion besondere Anforderungen erfüllt sein müssen. Für die Behörde muss erkennbar sein, dass der Widerspruch von dem Widerspruchsführer herrührt und dieser die Widerspruchsschrift wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht hat (Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 11. Februar 1987, 1 BvR 475/85; BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2002, 2 BvR 2168/00, NJW 2002, 3534; Gemeinsamer Senat der Obersten Bundesgerichte zum Schriftformerfordernis bei Prozesshandlungen, Beschluss vom 5. April 2000, GmS OGB 1/98 = BGHZ 144, 160, 165; Bundessozialgericht – BSG -, Beschluss vom 18. November 2003, B 1 KR 1/02 S; Urteil vom 21. Juni 2001, B 13 RJ 5/01 R). Diese Sicherung der Authentizität ist durch einfache E-Mails nicht gewährleistet. Der Absender ist, wie im vorliegenden Fall, nicht ausreichend sicher identifizierbar und es besteht eine größere Gefahr von Missbrauch und Täuschung durch Unbefugte (vergleiche insoweit auch: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. Januar 2005, 2 PA 108/05).”

Leider taugt der entschiedene Fall, in dem der Absender nicht mal ein Aktenzeichen angegeben zu haben scheint, nicht für grundsätzlichere Ausführungen. Allerdings begnügt sich das LSG Darmstadt nicht mit der konkreten Mail, sondern macht sich grundsätzliche Gedanken zum Widerspruch.

Pardon, ich halte das Urteil keinesfalls für bürgerfreundlich, sondern für rückständig. Kurioserweise hat dagegen schon das Reichsgericht eine Klage per Telegramm für zulässig gehalten. Na, das wird aber damals auch bestimmt kein Sozialhilfeempfänger gewesen sein, der per Telegramm geklagt hat …

Immerhin gibt es aber auch modernere Ansichten: So hat das Arbeitsgericht Frankfurt in einem vom Unterzeichner (ähem, Absenders) dieses Beitrags erstrittenen Urteil ein E-Mail für die schriftliche Geltendmachung im Rahmen einer tariflichen Ausschlussfrist reichen lassen.

Fristen sind kein Selbstzweck und sollen die Behörden und Gerichte nicht vor Verfahren schützen, liebe Sozialrichter.

Der letzte Satz im Urteil des Landessozialgerichts überzeugt dann aber auch die letzten Zweifler: “Dieser Beschluss ist gemäß 177 SGG unanfechtbar.” War ja klar (JuracityBlog berichtete). Man kann eben Recht haben oder Recht(skraft) behalten.


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Das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt (Urteil vom 11.07.2007 – Aktenzeichen L 9 AS 161/07 ER, Volltext) hält einen Widerspruch per E-Mail für nicht formgerecht und damit nicht fristwahrend.

“Die E-Mail des Klägers, die dieser am 09. März 2007 unter dem Absender c.@f.de an die Internetadresse c.j.@w.de mit dem folgenden Text:

„Widerspruch gegen Sanktionsbescheid

Sehr geehrte Frau J.,
ich erhebe hiermit Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid.

Mit freundlichen Grüßen
A.“

abgesandt hat, kann nicht als formgerechte und damit wirksame Widerspruchseinlegung angesehen werden.

(…)

Dies entspricht der bereits vor der Rechtsänderung übereinstimmend vertretenen Rechtsauffassung, dass trotz der Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel und dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formstrenge auszeichnenden sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren für die Wirksamkeit der Widerspruchseinlegung (wie auch der Klage) zur Sicherung der Authentizitäts- und Sicherungsfunktion besondere Anforderungen erfüllt sein müssen. Für die Behörde muss erkennbar sein, dass der Widerspruch von dem Widerspruchsführer herrührt und dieser die Widerspruchsschrift wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht hat (Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 11. Februar 1987, 1 BvR 475/85; BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2002, 2 BvR 2168/00, NJW 2002, 3534; Gemeinsamer Senat der Obersten Bundesgerichte zum Schriftformerfordernis bei Prozesshandlungen, Beschluss vom 5. April 2000, GmS OGB 1/98 = BGHZ 144, 160, 165; Bundessozialgericht – BSG -, Beschluss vom 18. November 2003, B 1 KR 1/02 S; Urteil vom 21. Juni 2001, B 13 RJ 5/01 R). Diese Sicherung der Authentizität ist durch einfache E-Mails nicht gewährleistet. Der Absender ist, wie im vorliegenden Fall, nicht ausreichend sicher identifizierbar und es besteht eine größere Gefahr von Missbrauch und Täuschung durch Unbefugte (vergleiche insoweit auch: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. Januar 2005, 2 PA 108/05).”

Leider taugt der entschiedene Fall, in dem der Absender nicht mal ein Aktenzeichen angegeben zu haben scheint, nicht für grundsätzlichere Ausführungen. Allerdings begnügt sich das LSG Darmstadt nicht mit der konkreten Mail, sondern macht sich grundsätzliche Gedanken zum Widerspruch.

Pardon, ich halte das Urteil keinesfalls für bürgerfreundlich, sondern für rückständig. Kurioserweise hat dagegen schon das Reichsgericht eine Klage per Telegramm für zulässig gehalten. Na, das wird aber damals auch bestimmt kein Sozialhilfeempfänger gewesen sein, der per Telegramm geklagt hat …

Immerhin gibt es aber auch modernere Ansichten: So hat das Arbeitsgericht Frankfurt in einem vom Unterzeichner (ähem, Absenders) dieses Beitrags erstrittenen Urteil ein E-Mail für die schriftliche Geltendmachung im Rahmen einer tariflichen Ausschlussfrist reichen lassen.

Fristen sind kein Selbstzweck und sollen die Behörden und Gerichte nicht vor Verfahren schützen, liebe Sozialrichter.

Der letzte Satz im Urteil des Landessozialgerichts überzeugt dann aber auch die letzten Zweifler: “Dieser Beschluss ist gemäß 177 SGG unanfechtbar.” War ja klar (JuracityBlog berichtete). Man kann eben Recht haben oder Recht(skraft) behalten.