Fahrer ohne eigenes Fahrzeug

Selbstfahrende Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug können selbständig sein

Selbstfahrende Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug können selbständig sein, das jedenfalls meint das Landessozialgericht in Bayern im Falle eines Kraftfahrers, der sich u.a. als „Aushilfsfahrer“ für die Urlaubs- und Krankheitsvertretung bei verschiedenen Busunternehmen verdingte.

“ Die Tätigkeit als Fahrer kann zwar sowohl im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. allg. hierzu BSG, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 38/02 R = SozR 4-2700 § 2 Nr. 1 und Urteil vom 22.06.2005, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2008 – L 4 KR 4098/06 – juris – m.w.N.; Hess. LSG, Urteile vom 18.09.2003 – L 14 KR 360/02 und 13.07.2006 – L 8/14 KR 369/04, vom 24.02.2009, L 1 KR 249/08) als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses als selbstständige Tätigkeit (vgl. zu Fahrertätigkeiten BSG, Urteil vom 27.11.1980 – 8a RU 26/80 = SozSich 1981, 220; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.09.2007 – L 5 R 5/06 – juris; Bayerisches LSG, Urteil vom 17.11.2006 – L 5 KR 293/05 – juris, zu Flugzeugführern BSG, Urteil vom 28.05.2008 – B 12 KR 13/07 R = SGb 2008, 401) ausgeübt werden.

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall ergibt eine Gesamtabwägung der maßgeblichen Anhaltspunkte ein Überwiegen zu Gunsten der selbstständigen Tätigkeit.“

Das BayLSG differenziert wohltuend differenziert nach der Zielrichtung der Geschäftsidee und relativiert das häufig von den Gerichten pauschal und ohne nähere Begründung in den Mittelpunkt gestellte Kriterium des Unternehmerrisikos und Kapitaleinsatzes:

„Zwar spricht auch das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 28./29.03.2001 über die Fragen des gemeinsamen Beitragseinzuges zur Sozialversicherung für eine Einordnung der Tätigkeit des Klägers als Beschäftigter, weil der Kläger gerade kein eigenes Fahrzeug einsetzt (dort maßgebliches Kriterium beim Frachtführer und beim Omnibusfahrer).

Das Fehlen eines eigenen Fahrzeuges und damit hochwertigen Betriebsmittels hängt hier jedoch wesentlich mit der vom Kläger verfolgten Geschäftsidee zusammen, den Fuhrunternehmern das Brachliegen von deren Betriebsmitteln zu ersparen. Letztlich zeigt sich gerade darin die Veränderung der Arbeitswelt im Sinne einer Intellektualisierung und Entmaterialisierung des Betriebsbegriffes. In einem entmaterialisierten, im Wesentlichen nur noch im virtuellen Betrieb fehlt es in aller Regel an einem physischen Arbeitsplatz innerhalb eines räumlichen Gebildes. Das Know-How hochqualifizierter Mitarbeiter ist das wichtigste und oft auch einzige Betriebskapital (Schlegel in Eicher/Schlegel SGB III § 25 RdNr. 58). Die vom Kläger verfolgte Geschäftsidee unterscheidet sich von den in den Gemeinsamen Richtlinien aufgeführten und der Rechtsprechung entschiedenen Fällen der Bejahung einer Beschäftigung bei einem Kraftfahrer (vgl. allg. hierzu BSG, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 38/02 R – Menübringer – = SozR 4-2700 § 2 Nr. 1 und Urteil vom 22.07.2005, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2008 – L 4 KR 4098/06 – LKW Fahrer – juris – m.w.N.; Hess. LSG, Urteile vom 18.09.2003 – L 14 KR 360/02 – und 13.07.2006 – L 8/14 KR 369/04, vom 24.02.2009, L 1 KR 249/08 – LKW Fahrer) dadurch, dass als Dienstleistung das reine Führen der Fahrzeuge verschiedenster Art (LKW, Omnibus, Kleintransporter, Taxi) für zahlreiche, unterschiedliche Auftraggeber und das unternehmerische Gestalten (Werbung neuer Kunden, Aufbau eines Fahrer-Leasing Unternehmens) im Vordergrund stehen.“

Auch selbstfahrende Kraftfahrer können daher selbständig sein. Eine Entwarnung für die meisten ist das Urteil dennoch nicht: Es beschränkt sich ausdrücklich auf das Geschäftsmodell des „Aushilfsfahrers“.

Quelle: Bayerisches Landessozialgericht vom 29.03.2011 Aktenzeichen L 8 AL 152/08

Hoffnung für selbstfahrende Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug

Das Urteil gibt Hoffnung für selbstfahrende Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug. Die Übernahme von Unternehmerrisiko ist KEIN gesetzliches Kritierum für eine selbständige Beschäftigung. Es ist allerdings eine Dummheit, die im Markt erfolgreichen Selbständigen nicht passieren würde. Warum gerade die Überwälzung eines Gewinn- und Verlustrisikos einen Selbständigen ausmachen soll, die Vermeidung einen abhängigen Beschäftigten, kann man aus sozialpolitischer Sicht kaum nachvollziehen. Die Rspr. führt nur dazu, dass auf immer mehr Scheinselbständige immer mehr Unternehmerrisiko verlagert wird.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Brühl / Köln / Berlin

Interviews zum Thema Scheinselbständigkeit:

(1) Computerwoche vom 04.08.2014: Verunsicherung im Markt I Scheinselbständig: IT-Freiberufler im Visier der Rentenversicherung? von Andrea König (Autor) mit Interviewzitaten Rechtsanwalt Felser [21]

(2) Verbraucherportal Biallo vom 05.12.2011: Selbstständig im Nebenberuf – Tipps und Fallstricke. Ein Beitrag von Rolf Winkel mit Interviewzitaten Rechtsanwalt Felser [22]

(3) Lohn und GehaltsPROFI aktuell 2/2011: Sonderausgabe Scheinselbständigkeit: Verstärkte Prüfungen [23]. Beiträge von Chefredakteur Lutz Schumann und Rechtsanwalt Michael W. Felser.

(4) Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ) 2008/40 (Seite 15): Selbständig oder nur zum Schein. Urteil zur Selbstständigkeit verunsichert das Gastgewerbe. Aber Vorsicht: „Die Feststellung ist keineswegs rechtskräftig“, warnt Michael W. Felser, Rechtsanwalt aus Brühl. Ein Beitrag von Norbert Sass mit Interview von Rechtsanwalt Felser. [24]

(5) „BKK Zollern-Alb Business“ Heft 2 2002 (Seite 6/7): Scheinselbständigkeit – programmierter Ruin. Ein Beitrag von Jürgen Ponath mit Interview Rechtsanwalt Felser.[25]

(6) Financial Times Deutschland vom 27.6.2000: „Rentenkasse versperrt Selbstständigen die Flucht. Für Selbstständige in Deutschland wird es schwerer, sich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entziehen.“ Ein Beitrag von Margarethe Heckel mit Zitaten aus einem Interview mit Rechtsanwalt Felser [26]


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Selbstfahrende Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug können selbständig sein, das jedenfalls meint das Landessozialgericht in Bayern im Falle eines Kraftfahrers, der sich u.a. als „Aushilfsfahrer“ für die Urlaubs- und Krankheitsvertretung bei verschiedenen Busunternehmen verdingte.

“ Die Tätigkeit als Fahrer kann zwar sowohl im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. allg. hierzu BSG, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 38/02 R = SozR 4-2700 § 2 Nr. 1 und Urteil vom 22.06.2005, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2008 – L 4 KR 4098/06 – juris – m.w.N.; Hess. LSG, Urteile vom 18.09.2003 – L 14 KR 360/02 und 13.07.2006 – L 8/14 KR 369/04, vom 24.02.2009, L 1 KR 249/08) als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses als selbstständige Tätigkeit (vgl. zu Fahrertätigkeiten BSG, Urteil vom 27.11.1980 – 8a RU 26/80 = SozSich 1981, 220; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.09.2007 – L 5 R 5/06 – juris; Bayerisches LSG, Urteil vom 17.11.2006 – L 5 KR 293/05 – juris, zu Flugzeugführern BSG, Urteil vom 28.05.2008 – B 12 KR 13/07 R = SGb 2008, 401) ausgeübt werden.

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall ergibt eine Gesamtabwägung der maßgeblichen Anhaltspunkte ein Überwiegen zu Gunsten der selbstständigen Tätigkeit.“

Das BayLSG differenziert wohltuend differenziert nach der Zielrichtung der Geschäftsidee und relativiert das häufig von den Gerichten pauschal und ohne nähere Begründung in den Mittelpunkt gestellte Kriterium des Unternehmerrisikos und Kapitaleinsatzes:

„Zwar spricht auch das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 28./29.03.2001 über die Fragen des gemeinsamen Beitragseinzuges zur Sozialversicherung für eine Einordnung der Tätigkeit des Klägers als Beschäftigter, weil der Kläger gerade kein eigenes Fahrzeug einsetzt (dort maßgebliches Kriterium beim Frachtführer und beim Omnibusfahrer).

Das Fehlen eines eigenen Fahrzeuges und damit hochwertigen Betriebsmittels hängt hier jedoch wesentlich mit der vom Kläger verfolgten Geschäftsidee zusammen, den Fuhrunternehmern das Brachliegen von deren Betriebsmitteln zu ersparen. Letztlich zeigt sich gerade darin die Veränderung der Arbeitswelt im Sinne einer Intellektualisierung und Entmaterialisierung des Betriebsbegriffes. In einem entmaterialisierten, im Wesentlichen nur noch im virtuellen Betrieb fehlt es in aller Regel an einem physischen Arbeitsplatz innerhalb eines räumlichen Gebildes. Das Know-How hochqualifizierter Mitarbeiter ist das wichtigste und oft auch einzige Betriebskapital (Schlegel in Eicher/Schlegel SGB III § 25 RdNr. 58). Die vom Kläger verfolgte Geschäftsidee unterscheidet sich von den in den Gemeinsamen Richtlinien aufgeführten und der Rechtsprechung entschiedenen Fällen der Bejahung einer Beschäftigung bei einem Kraftfahrer (vgl. allg. hierzu BSG, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 38/02 R – Menübringer – = SozR 4-2700 § 2 Nr. 1 und Urteil vom 22.07.2005, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2008 – L 4 KR 4098/06 – LKW Fahrer – juris – m.w.N.; Hess. LSG, Urteile vom 18.09.2003 – L 14 KR 360/02 – und 13.07.2006 – L 8/14 KR 369/04, vom 24.02.2009, L 1 KR 249/08 – LKW Fahrer) dadurch, dass als Dienstleistung das reine Führen der Fahrzeuge verschiedenster Art (LKW, Omnibus, Kleintransporter, Taxi) für zahlreiche, unterschiedliche Auftraggeber und das unternehmerische Gestalten (Werbung neuer Kunden, Aufbau eines Fahrer-Leasing Unternehmens) im Vordergrund stehen.“

Auch selbstfahrende Kraftfahrer können daher selbständig sein. Eine Entwarnung für die meisten ist das Urteil dennoch nicht: Es beschränkt sich ausdrücklich auf das Geschäftsmodell des „Aushilfsfahrers“.

Quelle: Bayerisches Landessozialgericht vom 29.03.2011 Aktenzeichen L 8 AL 152/08

Hoffnung für selbstfahrende Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug

Das Urteil gibt Hoffnung für selbstfahrende Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug. Die Übernahme von Unternehmerrisiko ist KEIN gesetzliches Kritierum für eine selbständige Beschäftigung. Es ist allerdings eine Dummheit, die im Markt erfolgreichen Selbständigen nicht passieren würde. Warum gerade die Überwälzung eines Gewinn- und Verlustrisikos einen Selbständigen ausmachen soll, die Vermeidung einen abhängigen Beschäftigten, kann man aus sozialpolitischer Sicht kaum nachvollziehen. Die Rspr. führt nur dazu, dass auf immer mehr Scheinselbständige immer mehr Unternehmerrisiko verlagert wird.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Brühl / Köln / Berlin

Interviews zum Thema Scheinselbständigkeit:

(1) Computerwoche vom 04.08.2014: Verunsicherung im Markt I Scheinselbständig: IT-Freiberufler im Visier der Rentenversicherung? von Andrea König (Autor) mit Interviewzitaten Rechtsanwalt Felser [21]

(2) Verbraucherportal Biallo vom 05.12.2011: Selbstständig im Nebenberuf – Tipps und Fallstricke. Ein Beitrag von Rolf Winkel mit Interviewzitaten Rechtsanwalt Felser [22]

(3) Lohn und GehaltsPROFI aktuell 2/2011: Sonderausgabe Scheinselbständigkeit: Verstärkte Prüfungen [23]. Beiträge von Chefredakteur Lutz Schumann und Rechtsanwalt Michael W. Felser.

(4) Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ) 2008/40 (Seite 15): Selbständig oder nur zum Schein. Urteil zur Selbstständigkeit verunsichert das Gastgewerbe. Aber Vorsicht: „Die Feststellung ist keineswegs rechtskräftig“, warnt Michael W. Felser, Rechtsanwalt aus Brühl. Ein Beitrag von Norbert Sass mit Interview von Rechtsanwalt Felser. [24]

(5) „BKK Zollern-Alb Business“ Heft 2 2002 (Seite 6/7): Scheinselbständigkeit – programmierter Ruin. Ein Beitrag von Jürgen Ponath mit Interview Rechtsanwalt Felser.[25]

(6) Financial Times Deutschland vom 27.6.2000: „Rentenkasse versperrt Selbstständigen die Flucht. Für Selbstständige in Deutschland wird es schwerer, sich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entziehen.“ Ein Beitrag von Margarethe Heckel mit Zitaten aus einem Interview mit Rechtsanwalt Felser [26]