13 Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit

Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit: Um die Sozialversicherungspflichtigkeit von Selbständigen – Stichwort Scheinselbständigkeit – ranken sich viele Mythen, als Anwalt bekommt man viele Rechtsirrtümer zu hören. Leider kann man nicht immer korrigierend eingreifen, häufig kann die Lage nur noch für die Zukunft repariert werden. Der günstigste Rat ist immer der rechtzeitige Rat.

Doch jetzt zu einigen der Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit:

(1) Mehrere Auftraggeber zur gleichen Zeit schützen vor Scheinselbständigkeit.

Falsch. Jeder Auftrag und jeder Auftraggeber ist für sich zu prüfen.  Wer wie ein Arbeitnehmer für drei Auftraggeber nur formal selbständig tätig ist, ist sozialversicherungspflichtig bei drei Arbeitgebern beschäftigt.

„Kein für Selbständigkeit sprechender Gesichtspunkt stellt das Tätigwerden für mehrere Auftrag- bzw. Arbeitgeber dar. Es ist nach den gesetzgeberischen Wertungen sowohl möglich, dass bei der Tätigkeit für nur einen Auftraggeber Selbständigkeit gegeben ist (vgl. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI), als auch bei parallelen Tätigkeiten für mehrere Arbeitgeber abhängige Beschäftigungen vorliegen (vgl. §§ 8 Abs. 2 Satz 1, 22 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Demzufolge können natürlich auch abhängige Beschäftigungen neben selbständigen Tätigkeiten ausgeübt werden.“

(Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04. Dezember 2013 – L 8 R 296/10)

(2) Ständig wechselnde Auftraggeber führen zur Selbständigkeit.

Irrtum. Auch zahlreiche kurze (befristete) Beschäftigungen nacheinander können im Rahmen von Arbeitsverhältnissen geleistet werden und sind alleine betrachtet nur ein schwaches Indiz für eine selbständige Tätigkeit.

(3) Wer nur einen Auftraggeber hat, ist scheinselbständig.

Falsch. Auch Selbständige mit nur einem Auftraggeber können selbständig sein, nämlich als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger (siehe Irrtum Nr. 1). Das Gesetz erkennt diesen Status sogar ausdrücklich an.

(4) Wenn Selbständige einen sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter anstellen, droht keine Scheinselbständigkeit mehr.

Falsch. Die Beschäftigung sozialversicherungspflichtiger Mitarbeiter führt nur dazu, dass keine arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit vorliegt und keine Rentenversicherungsbeträge vom Selbständigen abzuführen sind. Die Einstellung von Mitarbeitern ist nicht geeignet, eine eigentlich bestehende Scheinselbständigkeit zu umgehen. Die DRV hält die Beschäftigung von sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitern aber für ein starkes Indiz für eine selbständige Tätigkeit, aber eben nur EIN Indiz (unter vielen).

(5) Als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger darf ich keine Familienangehörigen beschäftigen.

Leider auch falsch, das Gesetz wurde in diesem Punkt kurz nach dem Inkrafttreten (1999) geändert, auch die Beschäftigung von Familienangehörigen kann zur Rentenversicherungsfreiheit führen. Alles andere würde gegen Art. 6 GG verstoßen.

(6) Wenn im Vertrag geregelt ist, dass beide Seiten freie Mitarbeit vereinbart haben und Weisungen nach Ort und Zeit nicht erteilt werden, schließt das Scheinselbständigkeit aus.

Falsch. Zwar ist der Vertrag der Beginn jeder Prüfung, aber schlußendlich kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Widerspricht die gelebte Praxis den vertraglichen Vereinbarungen, hilft auch der schönste Vertrag nicht. Mit einem vernünftigen Vertrag können sie das Risiko bei einer Betriebsprüfung aber verringern, Scheinselbständigkeit vermeiden alleine durch einen „Scheinvertrag“ geht aber nicht.

(7) Auftraggeber können mit dem Selbständigen vereinbaren, dass dieser im Zweifel die Sozialversicherungsbeiträge bei einer Prüfung selbst tragen muß, wenn die Prüfung die Sozialversicherungspflichtigkeit der Tätigkeit ergibt.

Falsch. Eine solche Überwälzung des Risikos verstößt gegen die gesetzlichen Regelungen und ist unwirksam. Für die Abführung der Sozialabgaben haftet der Arbeitgeber.

(8) Wer für Aufträge nicht im Betrieb arbeitet, sondern ein eigenes Büro zu Hause nutzt, ist selbständig.

Falsch. Ein Homeoffice ist auch in Arbeitsverhältnissen möglich, also nicht nur bei Selbständigen üblich, so die Argumentation der DRV.

(9) Eine GmbH schützt vor Sozialversicherungspflichtigkeit.

Irrtum, insbesondere bei Ein-Mann-GmbHs mit einem mitarbeitenden Gesellschafter-/ Geschäftsführer droht die Annahme einer Umgehung durch DRV und Sozialgerichte.

(10) Mein Steuerberater kennt sich aus, er kann mich beraten und im Ernstfall vertreten.

Falsch, das Bundessozialgericht hat bei der Statusfeststellung die sozialversicherungsrechtliche Beratung und Vertretung durch Steuerberater verboten, weil diesen die notwendigen Kenntnisse fehlen. Trozdem haftet der Steuerberater für falsche Auskünfte. Die es aber nur selten schriftlich gibt.

(11) Die Klärung des Status kann doch nicht so schwierig sein, es gibt doch Kriterien und Checklisten.

Irrtum, den Kriterienkatalog gibt es nicht mehr, auch Checklisten nützen nichts. Das Bundessozialgericht hält die Statusfeststellung für eine komplexe Angelegenheit. Es kommt nämlich immer auf den Einzelfall, eine Vielzahl von Indizien, deren Gewichtung und die gelebte Praxis an.

(12) Das Statusfeststellungsverfahren führt zur Sozialversicherungsfreiheit bei allen Aufträgen eines Selbständigen.

Falsch, eine BfA-Befreiung (oder „DRV-Befreiung“), die für alle Aufträge und Auftraggeber gilt, gibt es nicht. Das Statusfeststellungsverfahren klärt nur den Status im Bezug auf einen Auftraggeber und im Grunde genommen sogar nur einen Auftrag. Ändert sich beim nächsten Auftrag die Aufgabe und Art und Weise, ist das Ergebnis nicht mehr relevant. Wenn die Angaben nicht stimmen, kann der Bescheid sogar rückwirkend geändert werden.

(13) Das Statusfeststellungsverfahren ist die beste Lösung zur Klärung der Sozialversicherungspflichtigkeit.

Schön wärs. Ein schlecht vorbereitetes und unbedacht eingeleitetes Statusfeststellungsverfahren kann – wenn die Beschäftigung bereits besteht – zu erheblichen Nachforderungen der DRV an den Auftraggeber und einer Rückabwicklung bei der Umsatzsteuer führen.

Update 1 zu Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit:

(14) Bezahlter Urlaub ist ein Indiz für Scheinselbständigkeit.

Falsch. Oft gelesen, selbst in Urteilen der Sozialgerichte bis hin zum Bundessozialgericht. Dabei haben arbeitnehmerähnliche Selbständige nach dem Bundesurlaubsgesetz (§ 2 BUrlG) sogar einen Rechtsanspruch auf bezahlten Urlaub. Dort heißt es:

„Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten auch Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; für den Bereich der Heimarbeit gilt § 12.“

Rechtsfolge: Selbständige dürfen nicht nur Urlaub bezahlt bekommen, sie haben sogar einen Rechtsanspruch darauf (wenn sie von einem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig sind und deswegen als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen sind).

Update Februar 2016: noch mehr Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit

(16) In einer Familien-GmbH kann auch ein Geschäftsführer, der nur Minderheitsgesellschafter ist, also weniger als 50 % der Anteile hält, sozialversicherungsfrei beschäftigt sein.

Irrtum. Das Bundessozialgericht hat die sog. „Schönwetter-Selbständigkeit“ ausdrücklich in mehreren Urteilen 2012 und Ende 2015 aufgegeben. Die bisherigen steuerlich motivierten Gestaltungen (geschäftsführender Ehemann 49 %, Ehefrau 51 % der Gesellschaftsanteile) führen in Betriebsprüfungen zu hohen Nachforderungen, auch rückwirkend. Steuerberater sollten darauf achten, dass kurzfristig Änderungen im Gesellschaftsvertrag (Satzung) vorgenommen werden.

(17) Gesellschafter-Geschäftsführer mit einem Minderheitsanteil können in einer GmbH sozialversicherungsfrei beschäftigt sein, wenn ein Vetorecht oder ein Stimmbindungsvertrag vereinbart wurde oder ein Gesellschafterbeschluss Einstimmigkeit vorsieht.

Irrtum. Das Bundessozialgericht hat in mehreren Urteilen im November 2015 derartige Vereinbarungen als irrelevant angesehen und hohe Beitragsnachforderungen für die nach Ansicht der DRV sozialversicherungspflichtigen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer als rechtmäßig angesehen.

Update April 2016: weitere Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit

(18) Die Folgen von Scheinselbständigkeit treffen nur den Auftraggeber / Arbeitgeber.

Es wird sie nicht überraschen: Leider auch falsch. Auch für den Scheinselbständigen kann es unangenehme Folgen haben. Zwar haftet der Auftraggeber für die Sozialversicherungsbeiträge in der Vergangenheit faktisch alleine. Bei Einkommenssteuer/Lohnsteuer und Umsatzsteuer oder ggf. auch Gewerbesteuer wird in der Regel (das ist aber keinesfalls zwingend) eine Rückabwicklung vorgenommen. Das kann für den Scheinselbständigen lästig, aber lukrativ werden. Auch wenn eine gesetzliche Krankenversicherung bestand, freut sich der Scheinselbständige über einen „Geldregen“. Arbeitsrechtlich können die Folgen von Scheinselbständigkeit unangenehm für den Betroffenen werden. Aber wer sozialversicherungsrechtlich abhängig Beschäftigter ist, ist noch lange nicht Arbeitnehmer.

Diese und andere Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit führen nicht selten in der Praxis zu fünfstelligen Nachforderungen.

Das Bundessozialgericht hat bei Scheinselbständigkeit, aber auch hier in diesem Blogbeitrag das letzte Wort:

„Die jeweilige Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, dh den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 Leitsatz und RdNr 25 ff).
(…)
Der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits bedeutet allerdings nicht, dass Leistungen der Sprachkommunikation auf dem hier in Rede stehenden Tätigkeitsfeld, wie sie die Klägerin zu 2. erbrachte, im sozialversicherungsrechtlichen Sinne stets als selbstständige Tätigkeit anzusehen wären. Maßgebend für die Beurteilung sind jeweils die Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage der für das BSG bindenden (vgl § 163 SGG) Feststellungen der Tatsacheninstanzen. Diese können bei veränderter Sachlage zu anderen Ergebnissen, das heißt auch zur Annahme von Beschäftigung gelangen.“

(BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R –, juris)

Interviews mit Rechtsanwalt Felser zum Thema Scheinselbständigkeit und Statusfeststellung

Rechtsanwalt Michael Felser wird regelmäßig vom WDR / ARD und Bild.de als Arbeitsrechtsexperte zitiert bzw. live ins Studio eingeladen.

Felser_DuD_WDR_privates5Felser_WDR_DuU_9Moma Rechtsanwalt Felser

Spezielle Interviews zum Thema Scheinselbständigkeit finden Sie in den folgenden Medien:

(1) FOCUS-BUSINESS Heft 4/2017 November/Dezember 2017: Stolperfallen inklusive – So entscheiden Statusprüfer, ob Auftragnehmer selbstständig sind – oder nicht (S. 162) mit Interview RA Felser (Heft kann hier bestellt werden)

(2) 09.10.2017 in RTL: Team Wallraff: Günter Wallraff im Gespräch mit Rechtsanwalt Michael Felser
(das ganze Interview bei www.rtl.de)

(3) DER FUSS 9/10-2017: Interview Rechtsanwalt Felser mit Autorin Petra Zimmermann zur Sozialversicherungspflicht von Podologen: „Wirrwarr Rentenversicherung“ (Interview online auf Der Fuss)

(4) Verkehrsrundschau vom 21.09.2017 RECHT + GELD. INSOLVENZRISIKO SCHEINSELBSTSTÄNDIGKEIT
sind oft existenzgefährdend“, weiß der Brühler Rechtsanwalt Michael Felser. Sie werden auf Basis der Rechnungsbeträge ermittelt und meist mit Säumniszuschlägen in Höhe von zwölf Prozent verzinst. „Scheinselbstständige zu beschäftigen, wird zum Insolvenzrisiko“

(5) Computerwoche vom 4. August 2014 mit Interview Rechtsanwalt Felser zum Thema Scheinselbständigkeit in der IT-Branche

(6) Verbraucherportal Biallo vom 05.12.2011: Selbstständig im Nebenberuf – Tipps und Fallstricke. Ein Beitrag von Rolf Winkel mit Interviewzitaten Rechtsanwalt Felser

(7) Lohn und GehaltsPROFI aktuell 2/2011: Sonderausgabe Scheinselbständigkeit: Verstärkte Prüfungen. Beiträge von Chefredakteur Lutz Schumann und Rechtsanwalt Michael W. Felser.

(8) Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ) 2008/40 (Seite 15): Selbständig oder nur zum Schein. Urteil zur Selbstständigkeit verunsichert das Gastgewerbe. Aber Vorsicht: „Die Feststellung ist keineswegs rechtskräftig“, warnt Michael W. Felser, Rechtsanwalt aus Brühl. Ein Beitrag von Norbert Sass mit Interview von Rechtsanwalt Felser.

(9) „BKK Zollern-Alb Business“ Heft 2 2002 (Seite 6/7):  Scheinselbständigkeit – programmierter Ruin. Ein Beitrag von Jürgen Ponath mit Interview Rechtsanwalt Felser.

(10) Financial Times Deutschland vom 27.6.2000: „Rentenkasse versperrt Selbstständigen die Flucht. Für Selbstständige in Deutschland wird es schwerer, sich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entziehen.“ Ein Beitrag von Margarethe Heckel mit Zitaten aus einem Interview mit Rechtsanwalt Felser.

Mehr Informationen finden Sie in unserem Rechtslexikon zu den Themen „Statusfeststellungsverfahren“ und „Scheinselbständigkeit“ sowie auf unserere Webseite Scheinselbstaendigkeit.de (seit 1997).

Seminare zum Thema Scheinselbständigkeit und Statusfeststellungsverfahren am 23.10.2015 und 23.11.2015 in Köln mit dem Autor

Am 23.10.2015 und 23.11.2015 bieten wir zwei Tagesseminare zum Thema Scheinselbständigkeit, Statusfeststellungsverfahren und arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit in Köln an. Bei Interesse können Sie sich auf unseren Seiten und auf Facebook informieren und bequem online buchen.

Autor:
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
spezialisiert auf das Querschnittsgebiet Scheinselbständigkeit
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Köln und Brühl

Mehr Informationen finden Sie in meinem Blogbeitrag „Scheinselbstständigkeit kann sich lohnen” und dem Rechtslexikon unter dem Stichwort „Scheinselbständigkeit„.

Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit: Um die Sozialversicherungspflichtigkeit von Selbständigen – Stichwort Scheinselbständigkeit – ranken sich viele Mythen, als Anwalt bekommt man viele Rechtsirrtümer zu hören. Leider kann man nicht immer korrigierend eingreifen, häufig kann die Lage nur noch für die Zukunft repariert werden. Der günstigste Rat ist immer der rechtzeitige Rat.

Doch jetzt zu einigen der Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit:

(1) Mehrere Auftraggeber zur gleichen Zeit schützen vor Scheinselbständigkeit.

Falsch. Jeder Auftrag und jeder Auftraggeber ist für sich zu prüfen.  Wer wie ein Arbeitnehmer für drei Auftraggeber nur formal selbständig tätig ist, ist sozialversicherungspflichtig bei drei Arbeitgebern beschäftigt.

„Kein für Selbständigkeit sprechender Gesichtspunkt stellt das Tätigwerden für mehrere Auftrag- bzw. Arbeitgeber dar. Es ist nach den gesetzgeberischen Wertungen sowohl möglich, dass bei der Tätigkeit für nur einen Auftraggeber Selbständigkeit gegeben ist (vgl. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI), als auch bei parallelen Tätigkeiten für mehrere Arbeitgeber abhängige Beschäftigungen vorliegen (vgl. §§ 8 Abs. 2 Satz 1, 22 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Demzufolge können natürlich auch abhängige Beschäftigungen neben selbständigen Tätigkeiten ausgeübt werden.“

(Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04. Dezember 2013 – L 8 R 296/10)

(2) Ständig wechselnde Auftraggeber führen zur Selbständigkeit.

Irrtum. Auch zahlreiche kurze (befristete) Beschäftigungen nacheinander können im Rahmen von Arbeitsverhältnissen geleistet werden und sind alleine betrachtet nur ein schwaches Indiz für eine selbständige Tätigkeit.

(3) Wer nur einen Auftraggeber hat, ist scheinselbständig.

Falsch. Auch Selbständige mit nur einem Auftraggeber können selbständig sein, nämlich als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger (siehe Irrtum Nr. 1). Das Gesetz erkennt diesen Status sogar ausdrücklich an.

(4) Wenn Selbständige einen sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter anstellen, droht keine Scheinselbständigkeit mehr.

Falsch. Die Beschäftigung sozialversicherungspflichtiger Mitarbeiter führt nur dazu, dass keine arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit vorliegt und keine Rentenversicherungsbeträge vom Selbständigen abzuführen sind. Die Einstellung von Mitarbeitern ist nicht geeignet, eine eigentlich bestehende Scheinselbständigkeit zu umgehen. Die DRV hält die Beschäftigung von sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitern aber für ein starkes Indiz für eine selbständige Tätigkeit, aber eben nur EIN Indiz (unter vielen).

(5) Als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger darf ich keine Familienangehörigen beschäftigen.

Leider auch falsch, das Gesetz wurde in diesem Punkt kurz nach dem Inkrafttreten (1999) geändert, auch die Beschäftigung von Familienangehörigen kann zur Rentenversicherungsfreiheit führen. Alles andere würde gegen Art. 6 GG verstoßen.

(6) Wenn im Vertrag geregelt ist, dass beide Seiten freie Mitarbeit vereinbart haben und Weisungen nach Ort und Zeit nicht erteilt werden, schließt das Scheinselbständigkeit aus.

Falsch. Zwar ist der Vertrag der Beginn jeder Prüfung, aber schlußendlich kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Widerspricht die gelebte Praxis den vertraglichen Vereinbarungen, hilft auch der schönste Vertrag nicht. Mit einem vernünftigen Vertrag können sie das Risiko bei einer Betriebsprüfung aber verringern, Scheinselbständigkeit vermeiden alleine durch einen „Scheinvertrag“ geht aber nicht.

(7) Auftraggeber können mit dem Selbständigen vereinbaren, dass dieser im Zweifel die Sozialversicherungsbeiträge bei einer Prüfung selbst tragen muß, wenn die Prüfung die Sozialversicherungspflichtigkeit der Tätigkeit ergibt.

Falsch. Eine solche Überwälzung des Risikos verstößt gegen die gesetzlichen Regelungen und ist unwirksam. Für die Abführung der Sozialabgaben haftet der Arbeitgeber.

(8) Wer für Aufträge nicht im Betrieb arbeitet, sondern ein eigenes Büro zu Hause nutzt, ist selbständig.

Falsch. Ein Homeoffice ist auch in Arbeitsverhältnissen möglich, also nicht nur bei Selbständigen üblich, so die Argumentation der DRV.

(9) Eine GmbH schützt vor Sozialversicherungspflichtigkeit.

Irrtum, insbesondere bei Ein-Mann-GmbHs mit einem mitarbeitenden Gesellschafter-/ Geschäftsführer droht die Annahme einer Umgehung durch DRV und Sozialgerichte.

(10) Mein Steuerberater kennt sich aus, er kann mich beraten und im Ernstfall vertreten.

Falsch, das Bundessozialgericht hat bei der Statusfeststellung die sozialversicherungsrechtliche Beratung und Vertretung durch Steuerberater verboten, weil diesen die notwendigen Kenntnisse fehlen. Trozdem haftet der Steuerberater für falsche Auskünfte. Die es aber nur selten schriftlich gibt.

(11) Die Klärung des Status kann doch nicht so schwierig sein, es gibt doch Kriterien und Checklisten.

Irrtum, den Kriterienkatalog gibt es nicht mehr, auch Checklisten nützen nichts. Das Bundessozialgericht hält die Statusfeststellung für eine komplexe Angelegenheit. Es kommt nämlich immer auf den Einzelfall, eine Vielzahl von Indizien, deren Gewichtung und die gelebte Praxis an.

(12) Das Statusfeststellungsverfahren führt zur Sozialversicherungsfreiheit bei allen Aufträgen eines Selbständigen.

Falsch, eine BfA-Befreiung (oder „DRV-Befreiung“), die für alle Aufträge und Auftraggeber gilt, gibt es nicht. Das Statusfeststellungsverfahren klärt nur den Status im Bezug auf einen Auftraggeber und im Grunde genommen sogar nur einen Auftrag. Ändert sich beim nächsten Auftrag die Aufgabe und Art und Weise, ist das Ergebnis nicht mehr relevant. Wenn die Angaben nicht stimmen, kann der Bescheid sogar rückwirkend geändert werden.

(13) Das Statusfeststellungsverfahren ist die beste Lösung zur Klärung der Sozialversicherungspflichtigkeit.

Schön wärs. Ein schlecht vorbereitetes und unbedacht eingeleitetes Statusfeststellungsverfahren kann – wenn die Beschäftigung bereits besteht – zu erheblichen Nachforderungen der DRV an den Auftraggeber und einer Rückabwicklung bei der Umsatzsteuer führen.

Update 1 zu Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit:

(14) Bezahlter Urlaub ist ein Indiz für Scheinselbständigkeit.

Falsch. Oft gelesen, selbst in Urteilen der Sozialgerichte bis hin zum Bundessozialgericht. Dabei haben arbeitnehmerähnliche Selbständige nach dem Bundesurlaubsgesetz (§ 2 BUrlG) sogar einen Rechtsanspruch auf bezahlten Urlaub. Dort heißt es:

„Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten auch Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; für den Bereich der Heimarbeit gilt § 12.“

Rechtsfolge: Selbständige dürfen nicht nur Urlaub bezahlt bekommen, sie haben sogar einen Rechtsanspruch darauf (wenn sie von einem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig sind und deswegen als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen sind).

Update Februar 2016: noch mehr Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit

(16) In einer Familien-GmbH kann auch ein Geschäftsführer, der nur Minderheitsgesellschafter ist, also weniger als 50 % der Anteile hält, sozialversicherungsfrei beschäftigt sein.

Irrtum. Das Bundessozialgericht hat die sog. „Schönwetter-Selbständigkeit“ ausdrücklich in mehreren Urteilen 2012 und Ende 2015 aufgegeben. Die bisherigen steuerlich motivierten Gestaltungen (geschäftsführender Ehemann 49 %, Ehefrau 51 % der Gesellschaftsanteile) führen in Betriebsprüfungen zu hohen Nachforderungen, auch rückwirkend. Steuerberater sollten darauf achten, dass kurzfristig Änderungen im Gesellschaftsvertrag (Satzung) vorgenommen werden.

(17) Gesellschafter-Geschäftsführer mit einem Minderheitsanteil können in einer GmbH sozialversicherungsfrei beschäftigt sein, wenn ein Vetorecht oder ein Stimmbindungsvertrag vereinbart wurde oder ein Gesellschafterbeschluss Einstimmigkeit vorsieht.

Irrtum. Das Bundessozialgericht hat in mehreren Urteilen im November 2015 derartige Vereinbarungen als irrelevant angesehen und hohe Beitragsnachforderungen für die nach Ansicht der DRV sozialversicherungspflichtigen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer als rechtmäßig angesehen.

Update April 2016: weitere Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit

(18) Die Folgen von Scheinselbständigkeit treffen nur den Auftraggeber / Arbeitgeber.

Es wird sie nicht überraschen: Leider auch falsch. Auch für den Scheinselbständigen kann es unangenehme Folgen haben. Zwar haftet der Auftraggeber für die Sozialversicherungsbeiträge in der Vergangenheit faktisch alleine. Bei Einkommenssteuer/Lohnsteuer und Umsatzsteuer oder ggf. auch Gewerbesteuer wird in der Regel (das ist aber keinesfalls zwingend) eine Rückabwicklung vorgenommen. Das kann für den Scheinselbständigen lästig, aber lukrativ werden. Auch wenn eine gesetzliche Krankenversicherung bestand, freut sich der Scheinselbständige über einen „Geldregen“. Arbeitsrechtlich können die Folgen von Scheinselbständigkeit unangenehm für den Betroffenen werden. Aber wer sozialversicherungsrechtlich abhängig Beschäftigter ist, ist noch lange nicht Arbeitnehmer.

Diese und andere Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit führen nicht selten in der Praxis zu fünfstelligen Nachforderungen.

Das Bundessozialgericht hat bei Scheinselbständigkeit, aber auch hier in diesem Blogbeitrag das letzte Wort:

„Die jeweilige Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, dh den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 Leitsatz und RdNr 25 ff).
(…)
Der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits bedeutet allerdings nicht, dass Leistungen der Sprachkommunikation auf dem hier in Rede stehenden Tätigkeitsfeld, wie sie die Klägerin zu 2. erbrachte, im sozialversicherungsrechtlichen Sinne stets als selbstständige Tätigkeit anzusehen wären. Maßgebend für die Beurteilung sind jeweils die Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage der für das BSG bindenden (vgl § 163 SGG) Feststellungen der Tatsacheninstanzen. Diese können bei veränderter Sachlage zu anderen Ergebnissen, das heißt auch zur Annahme von Beschäftigung gelangen.“

(BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R –, juris)

Interviews mit Rechtsanwalt Felser zum Thema Scheinselbständigkeit und Statusfeststellung

Rechtsanwalt Michael Felser wird regelmäßig vom WDR / ARD und Bild.de als Arbeitsrechtsexperte zitiert bzw. live ins Studio eingeladen.

Felser_DuD_WDR_privates5Felser_WDR_DuU_9Moma Rechtsanwalt Felser

Spezielle Interviews zum Thema Scheinselbständigkeit finden Sie in den folgenden Medien:

(1) FOCUS-BUSINESS Heft 4/2017 November/Dezember 2017: Stolperfallen inklusive – So entscheiden Statusprüfer, ob Auftragnehmer selbstständig sind – oder nicht (S. 162) mit Interview RA Felser (Heft kann hier bestellt werden)

(2) 09.10.2017 in RTL: Team Wallraff: Günter Wallraff im Gespräch mit Rechtsanwalt Michael Felser
(das ganze Interview bei www.rtl.de)

(3) DER FUSS 9/10-2017: Interview Rechtsanwalt Felser mit Autorin Petra Zimmermann zur Sozialversicherungspflicht von Podologen: „Wirrwarr Rentenversicherung“ (Interview online auf Der Fuss)

(4) Verkehrsrundschau vom 21.09.2017 RECHT + GELD. INSOLVENZRISIKO SCHEINSELBSTSTÄNDIGKEIT
sind oft existenzgefährdend“, weiß der Brühler Rechtsanwalt Michael Felser. Sie werden auf Basis der Rechnungsbeträge ermittelt und meist mit Säumniszuschlägen in Höhe von zwölf Prozent verzinst. „Scheinselbstständige zu beschäftigen, wird zum Insolvenzrisiko“

(5) Computerwoche vom 4. August 2014 mit Interview Rechtsanwalt Felser zum Thema Scheinselbständigkeit in der IT-Branche

(6) Verbraucherportal Biallo vom 05.12.2011: Selbstständig im Nebenberuf – Tipps und Fallstricke. Ein Beitrag von Rolf Winkel mit Interviewzitaten Rechtsanwalt Felser

(7) Lohn und GehaltsPROFI aktuell 2/2011: Sonderausgabe Scheinselbständigkeit: Verstärkte Prüfungen. Beiträge von Chefredakteur Lutz Schumann und Rechtsanwalt Michael W. Felser.

(8) Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ) 2008/40 (Seite 15): Selbständig oder nur zum Schein. Urteil zur Selbstständigkeit verunsichert das Gastgewerbe. Aber Vorsicht: „Die Feststellung ist keineswegs rechtskräftig“, warnt Michael W. Felser, Rechtsanwalt aus Brühl. Ein Beitrag von Norbert Sass mit Interview von Rechtsanwalt Felser.

(9) „BKK Zollern-Alb Business“ Heft 2 2002 (Seite 6/7):  Scheinselbständigkeit – programmierter Ruin. Ein Beitrag von Jürgen Ponath mit Interview Rechtsanwalt Felser.

(10) Financial Times Deutschland vom 27.6.2000: „Rentenkasse versperrt Selbstständigen die Flucht. Für Selbstständige in Deutschland wird es schwerer, sich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entziehen.“ Ein Beitrag von Margarethe Heckel mit Zitaten aus einem Interview mit Rechtsanwalt Felser.

Mehr Informationen finden Sie in unserem Rechtslexikon zu den Themen „Statusfeststellungsverfahren“ und „Scheinselbständigkeit“ sowie auf unserere Webseite Scheinselbstaendigkeit.de (seit 1997).

Seminare zum Thema Scheinselbständigkeit und Statusfeststellungsverfahren am 23.10.2015 und 23.11.2015 in Köln mit dem Autor

Am 23.10.2015 und 23.11.2015 bieten wir zwei Tagesseminare zum Thema Scheinselbständigkeit, Statusfeststellungsverfahren und arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit in Köln an. Bei Interesse können Sie sich auf unseren Seiten und auf Facebook informieren und bequem online buchen.

Autor:
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
spezialisiert auf das Querschnittsgebiet Scheinselbständigkeit
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Köln und Brühl

Mehr Informationen finden Sie in meinem Blogbeitrag „Scheinselbstständigkeit kann sich lohnen” und dem Rechtslexikon unter dem Stichwort „Scheinselbständigkeit„.