Das Bayerische Landessozialgericht hat in seinem Urteil vom 26.03.2009 Aktenzeichen L 9 AL 33/06 entschieden, dass Kurierfahrer, die in ein Auftragsvergabesystem eines Transportunternehmens eingegliedert sind und deren Firmenschild verwenden müssen, versicherungspflichtige Arbeitnehmer und keine selbständig Tätigen sind.
Der Kläger erledigte im vom BayLSG entschiedenen Fall mit einem eigenen Fahrzeug für eine Transportfirma Kurierfahrten. Als die Firma Insolvenz anmeldete, verweigerte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger das beantragte Insolvenzgeld, weil er selbständig tätig gewesen sei. Das Sozialgericht München hatte nach Einvernahme von Zeugen erstinstanzlich entschieden, dass aufgrund der Gesamtumstände ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe und dem Kläger damit Anspruch auf Insolvenzgeld zustehe.
Diese Entscheidung bestätige jetzt das Bayerische Landessozialgericht. Der neunte Senat stellte fest, dass der konkrete Transportfahrer trotz eines eigenen Wagens und Anmeldung der Tätigkeit als Gewerbetreibender im vorliegenden Fall abhängig beschäftigt war. Denn er hatte täglich acht bis zehn Stunden in einem durch Funk gesteuerten zentralen Vergabesystem Aufträge erhalten, seinen Urlaub genehmigen lassen müssen und musste sein Fahrzeug mit einem Firmenschild des Transportunternehmens kennzeichnen. Bei seiner Entscheidung bezog sich das Bayerische Landessozialgericht auch auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.06.2005 – B 12 KR 28/03 R.
Auswirkung der Entscheidung
Der beschriebene Fall steht beispielhaft für eine Reihe von Verfahren, in denen die Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit bei Kurierdiensten strittig ist. Das Bayerische Landessozialgericht (Urteil vom 23.01.2003 – Aktenzeichen L 4 KR 111/00) hatte bereits einmal Kurierdienstfahrer (einer Entscheidung des Landessozialgericht Berlin folgend) als Scheinselbständige eingestuft. Dabei hat es sich nicht von „scheinselbständigen“ Regelungen in den Verträgen täuschen lassen:
„Es wird im vorliegenden Fall nicht verkannt, dass einige vertragliche Regelungen bzw. einige Merkmale der tatsächlichen Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses Elemente der Selbständigkeit enthalten. Die Kurierfahrer hatten keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, waren verpflichtet, eine Transport-Haftpflicht- und Funkgeräteversicherung abzuschließen, hafteten für Transportschäden und waren in bestimmten Fällen zur Zahlung von Vertragsstrafen bzw. einer Wochengebühr für die fehlende Auftragsannahme verpflichtet. Es darf hierbei jedoch nicht übersehen werden, dass die M. in diesen vertraglichen Regelungen die üblichen Vorteile eines Arbeitgebers und eines Auftraggebers für selbständige Tätigkeiten für sich ausbedungen hat und damit die typischen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken der Arbeitnehmer und selbständig Tätigen auf die Kurierfahrer übertragen hat. Die Gesamtwürdigung der obengenannten Abgrenzungskriterien zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit ergibt, dass die Kurierfahrer entsprechend der Eigenart ihrer Tätigkeit als Transporteure gegenüber der M. GmbH weisungsgebunden gewesen sind und zusätzlich Risiken eines selbständig Tätigen zu tragen hatten, ohne in den Genuss der Vorteile der selbständigen Tätigkeit zu
Weitere Entscheidungen zur Sozialversicherungspflicht von Kurierfahrern / Paketdienstfahrern
Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20.05.1996 Aktenzeichen 1 BvR 21/96 – in SozR 3-2400 § 7 Nr. 11): es ist grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn im Einzelfall ein Kurierdienstfahrer als versicherungspflichtig Beschäftigter angesehen werden
LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20. November 2001 – L 1 KR 42/01 zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit bei Kurierfahrern
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.09.2007 Aktenzeichen L 5 R 5/06 (Paketdienstfahrer ist kein Arbeitnehmer)
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.11.2006 Aktenzeichen L 8 AL 86/02 (Kurierdienstfahrer war kein sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter mit Insolvenzgeldanspruch)
Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 13.03.2003 Aktenzeichen S 26 (8,9) RJ 67/98 (Kurierfahrer waren nicht sozialversicherungspflichte Beschäftigte)
Hessisches Landessozialgericht vom 19.10.2006 – L 8/14 KR 1188/03 (Juracity berichtete, Volltext): Paketdienstfahrer sind scheinselbständig.
Das Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 10.11.2004 – S 14 RA 219/00 hat seine Entscheidung, nach der die Kurierfahrer im konkreten Fall keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten seien, nach Befragung der Fahrer u.a. auf eine Entscheidung des BAG gestützt:
„Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2001 (5 AZR 561/99) überzeugend ausgeführt, dass die allgemeinen Grundsätze für die Beurteilung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnis auch im Bereich Transport und Verkehr gelten. Der Gesetzgeber habe, so das Bundesarbeitsgericht, den Frachtführer als selbständigen Gewerbetreibenden und damit nicht als Arbeitnehmer eingeordnet, obwohl der Frachtführer schon von Gesetzes wegen weitreichenden Weisungsrechten unterliege (§ 418 HGB neue Fassung; § 433 ff. HGB alte Fassung). Unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung führt das Gericht aus, dass der Frachtführer regelmäßig auch dann selbständiger Gewerbetreibender ist, wenn die Zusammenarbeit mit seinem Auftraggeber auf einem auf Dauer angelegten entsprechenden Rahmenvertrag beruht und das Fahrzeug sogar die Farben und das Firmenzeichen eines anderen Unternehmers aufweist. Insofern sei, so das Bundesarbeitsgericht, die gesetzgeberische Wertung, wonach Frachtführer Gewerbetreibende und damit Selbständige seien (§ 407 HGB neue Fassung; § 425 HGB alte Fassung) zu Grunde zu legen. Im Einzelfall könne ein Arbeitsverhältnis zu bejahen sein, wenn Vereinbarungen getroffen und praktiziert würden, die zur Folge hätten, dass der betreffende Fahrer in der Ausübung seiner Tätigkeit weniger frei sei als ein Frachtführer im Sinne des HGB, er also nicht mehr im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen könne. Wirtschaftliche Zwänge allein könnten die Arbeitnehmereigenschaft nicht begründen.“
Der Rat des Bayerischen Landessozialgerichts in seiner Pressemitteilung:
In der Praxis werden immer wieder Kurierfahrer als (Schein-)Selbständige beschäftigt, u.a. auch um eine Beitragszahlung in die Sozialversicherungssysteme zu vermeiden. Da jedoch immer eine Gesamtabwägung aller Umstände vorzunehmen ist und es sich stets um Einzelfallentscheidungen handelt, kann es sich für Kurierfahrer empfehlen, rechtzeitig ihren Status klären zu lassen (mehr dazu unter statusfeststellungsverfahren.de.
Quelle: Pressemitteilung des Bayerischen Landessozialgericht vom 26.03.2009 Aktenzeichen L 9 AL 33/06
Für den Firmeninhaber kann es sogar strafrechtliche Folgen haben, wenn nachträglich Scheinselbständigkeit festgestellt wird.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte